Jeden Tag halte ich ein kleines Pläuschchen mit Victor. Victor ist Venezolaner, 22 Jahre jung und alleine in Kolumbien. Er steht jeden Tag vor dem Supermarkt und „verkauft“ gegen eine Spende Bonbons und Marshmallows aus einer Plastikbox.
Zu Hause in Caracas studierte er International Business. Seine Eltern sind mit vier Kindern dort geblieben und haben die beiden ältesten Jungs weggeschickt, sein Bruder ist in den USA. Schlafen kann er in der zweiten Etage eines Rohbaus. Die Stadt ist voll mit Menschen wie ihm.
Von ihm lerne ich, dass sich im Kampf ums Überleben alles verwenden lässt. Ich bringe Neuware für seinen Verkaufsstand mit, kippe alles in seine Box und will die Umverpackungen wegschmeißen. Aber die möchte er auch, sie sind für den Müllsammler, der in Plastik macht, und der froh ist über alles, was sortenrein und nicht aus dem dreckigen Hausmüll geklaubt werden muss.
Wer bettelt, dem geht es richtig Hundeelend, sonst gibt es immer eine Gegenleistung. Wer keine Bonbons hat, macht sich nützlich, zum Beispiel als Parkeinweiser. Auch ganze Familien leben mit einem Koffer auf der Straße.
Südamerika erlebt seine größte Flüchtlingskrise der Neuzeit. Bisher verließen über 3,5 Millionen Venezulaner ihr Land, und es sind immer noch ein paar Tausend jeden Tag. Kolumbien hat mehr als eine Million von ihnen aufgenommen. Kolumbien gilt zwar von den großen Volkswirtschaften Südamerikas als Land mit den historisch höchsten Wachstumsraten, doch lebt noch immer ein Viertel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze, eine Fahrt mit der Seilbahn zeigt das ganze Elend des Slum-Gürtels rund ums Zentrum, und knapp die Hälfte aller Arbeitsplätze finden sich im informellen Sektor der Kleinstgeschäfte wie Schuhputzer und Straßenverkauf. Und bietet der Verkäufer nur drei Paar Socken an, auch das zählt in diesem Sinne als Arbeitsplatz.
Und die Venezolaner haben noch Glück: zwar sind sie in der Fremde, ohne Heim und Auskommen, aber sie sprechen dieselbe Sprache, sind kulturell ähnlich und vor allem: beim Großteil der Kolumbianer Willkommen. Wie fühlt sich eine z.B. syrische Familie bei uns?
Adios Medellin, ich war gerne hier. Andrew hat mit seinem Flying Tree Yoga Studio einen guten Ort geschaffen. Hier kann man wohnen und yogieren. Die Stunden werden abwechselnd in Englisch und Spanisch gehalten.
Der syrische Flüchtling fühlt sich wahrscheinlich wie die junge Venezolanerin, die ich Ende Dezember kennengelernt habe. Ich hatte mir über Silvester eine Auszeit gegönnt und war in ein Kaff in der Lüneburger Heide gefahren, im Off, im Nichts. Sie wohnte in dem Kaff und war noch nicht lange mit einem Deutschen verheiratet. Ich war neugierig und habe vorsichtig noch ein paar Sachen gefragt, aber sie war sehr verhalten. Total hübsche Frau – und diese weiche musikalische Sprache – aber total traurige Augen aus denen der Schmerz sprach. Gerettet, aber ….
Halten wir fest: uns geht’s verdammt gut. Liebe Grüße nach DO.
Viktor scheint in Venezuela ein beliebter Name. Unser Übersetzer auf der Tour zur Cuidad Perdida kommt aus Caracas. Zwei Jahre hat er sich mit verschiedenen Aushilfstätigkeiten in Palomino rumgeschlagen. Jetzt der Job als Übersetzer bei den Trekkingtouren. Ein aufgewecktes Kerlchen, das sich sein Englisch im Selbststudium beigebracht hat. Abends nach der harten Arbeit. Viktor ist zwanzig und mit seiner Schwester vor drei Jahren aus Venezuela geflohen. Die Mutter ist in Caracas geblieben und vermisst ihre Kinder.
was soll ich nur lesen, wenn ihr wieder hier seid
Ein gutes Buch 😉